Lessingstrasse, Nora Tschirner, Tatort Weimar

Der feine Geist

Zum Jahresbeginn wurde der elfte Tatort aus Weimar ausgestrahlt. Die Dreharbeiten wurde gerade noch rechtzeitig am Freitag den 13.März 2020 vor Ausruf der Pandemie abgeschlossen.

Wie bei jeder Folge war ich am Ende erstmal völlig verwirrt, von den ganzen skurrilen Szenen und Wendungen. Diesmal ist also Lessing erschossen worden, aber der Zuschauer, zumindest ich, hat nicht gecheckt, dass er nun als Geist weiter mitspielt. Als Weimaranerin achte ich bei der ersten Sichtung zu sehr auf die Location’s und versuche sie zu erkennen. Die schwarze Villa habe ich natürlich gleich erkannt. Die Zuschauermeinungen waren mal wieder sehr divers, von „blödsinnig“ und „schrecklich“ bis „der allerbeste ever“, „sehr ernst“. Überrascht hat mich die tiefe Traurigkeit mancher Zuschauer wegen Lessings Ausstieg. Diese Emotionen kamen bei mir wahrscheinlich nicht an, weil ich den Weimar-Tatort von vornherein nicht so ganz ernst nehme, ist ja sowieso nur ein Film. Über die extrem albernen Szenen mit Lupo und Stich sehe ich hinweg, ohne mich aufzuregen. Was mich aber genervt hat, war die seltsame Steckfrisur von Kira in den ersten Folgen. Diesmal hatte sie aber sehr schöne Haare und eine gute Maske. Auch die Pullover muss ich mir nochmal genauer anschauen. Die Ausstattung ihrer Wohnung gefiel mir auch diesmal und ganz besonders die Teller.

Christian Ulmen hat auf eigenen Wunsch den Weimar-Tatort verlassen. Er braucht mehr Zeit um den Bekloppten in Jerks zu spielen, anstatt den feingeistigen Lessing. Kann ich akzeptieren. Ich glaube Christian Ulmen mag unsere piefige Kleinstadt sowieso nicht. Der feine Herr gab uns nur beim ersten Preview in Weimar die Ehre seiner Anwesenheit. Diese Ermahnungen „Frau Dorn!“ bei lustigen und wahren Bemerkungen von Kira waren voll die Spassbremse. Die Zitate und Statistiken gingen mir auch ziemlich auf die Nerven.

Bei jedem „Frau Dorn!“ musste ich unwillkürlich zusammen zucken. Mein ehemaliger Lieblingschef Michael Eschwe hat das ihm gleichen Tonfall auch oft gesagt, er ist auch ein ähnlicher Typ, rein äußerlich. Zum Beispiel wollte eine Bauherrin aus Karlsruhe unbedingt, dass die Toiletten vorzeitig für ein Baustellenfest nutzbar gemacht werden. Das war sehr schwierig. Ich schlug vor, dafür die vorhandenen Baustellencontainer nach einer gründlichen Reinigung zu benutzen. Frau Hartmann-Schleicher hyperventilierte daraufhin und erklärte mir, dass das für Bänker ein völlig inakzeptabler Vorschlag ist. Ich erklärte ihr, dass ich auch auf diese Toiletten gehe und sagte: „Bänker machen doch auch nur Scheiße. Oder kacken sie Marzipankugeln?“ Ein Antwort bekam ich leider nicht. Nur ein Ermahnung: „Frau Dorn!“ von meinem Chef.

Da fällt mir noch ein Beispiel ein. Wegen Termindruck musste das Parkett schnell eingebaut werden. Im Winter wurde das Bankgebäude schön geheizt und das Parkett konnte endlich austrocknen. Logischerweise entstanden kleine Risse, die von Frau Hartmann-Schleicher umgehend als Mangel angezeigt wurden. Der Parkettleger erklärte geduldig die bauphysikalischen Zusammenhänge und wie das Holz arbeitet und sich bewegt. Meine Anmerkung: „…wahrscheinlich als einzige in diesem Haus.“ wurde natürlich auch mit einem strengen: „Frau Dorn!“ vom Chef kommentiert. Ich habe aber sein heimliches Schmunzeln gesehen. Eigentlich war er ein frecher Westberliner, den er vor den Bauherren natürlich nicht rauslassen durfte. Hinterher haben wir aber über die Arroganz und Pingeligkeit mancher schwäbischer Bänker den Kopf geschüttelt.

Seit gestern ist der Drehort Weimar eingeschneit und ich war nicht die einzigste die plötzlich den Ausgang der Parkhöhle fotografiert hat, wo die Mörderin gefasst wurde.

Das Tempelherrenhaus hat schon Moby für sein Cover fotografiert, sieht aber eingeschneit nochmal besonders schön aus.

Es gab 2 und 3/4 Tote, 3/4 lag hier auf der Treppe, der angeschossene und nicht mehr vernehmungsfähige Wolle.

Wie geht es nun weiter mit dem Tatort? Im Jahr 2021 wird nicht gedreht. Das bedeutet für mich, ich bekomme keine Komparsenrolle 2021 und muss mir meinen Lebensunterhalt anderweitig verdienen. Murmel Clausen hat vom mdr den Auftrag für ein neues Drehbuch. Wenn 2022 gedreht werden soll, muss es im September 2021 fertig sein. Lessing wird auch nach Zuschauerprotesten definitiv nicht auferstehen, wie damals Bobby Ewing in Denverclan (oder Dallas? egal). Er steht eventuell als „Gespinst“ in weiteren Folgen zur Verfügung. Vielleicht kommt ja Til Schweiger als Nachrücker aus Hamburg. Die Vorstellungsszene kann gerne wiederholt werden: „Ihr Name?“, „Tschiller“, „So wie der Dichter?“, „Welcher Dichter?“. Wer weiß, wenn seine teure Actionszenen das Budget des ndr sprengen, finanziert der mdr vielleicht mal eine Verfolgungsjagd mit Sprung vom Jacob auf die Fahrzeuge irgendwelcher Ganoven. Vielleicht möchte Jürgen Vogel aber auch mal Tatort-Kommissar werden. Ihn könnte ich mir unter dem Name „Götte“ auch gut als neuen Partner von Kira vorstellen. Das wäre göttlich! Na mal sehen, was den Autoren und dem mdr so einfällt.

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Nora Tschirner, Tatort Weimar, Weimar

Mein erstes Mal im Autokino

Eigentlich wollte ich nie in ein Autokino. Was für ein Schwachsinn! Autokino in der Innenstadt, in einem Arial für künftige Bewohner die zu 80% keinen eigenen PKW haben sondern Fahrräder in allen Varianten benutzen. Aber der neue Weimar-Tatort läuft mit Videoschaltung zu Nora Tschirner und Lupo und der Regisseurin und ich habe kein Auto. Gibt es für diesen Fall bereits irgendwo eine Mitsitzgelegenheit?

Christian hat mir sein Auto angeboten. Okay, es war ja ganz lustig zu zweit mit Knabbergebäck, Füße hoch, Quatschen ohne jemand zu stören, Getränkebestellung per Telefon, Applaus mit Lichthupe…

Trotzdem werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen. Ich hoffe, dass bald andere Veranstaltungen zugelassen werden, im Strandkorb, mit Sofa…

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Nora Tschirner, Tatort Weimar

Tag 32 zu Hause – Dornies

Am Tag 14 habe ich angekündigt, daß ich noch erzählen werde, wie ich durch erfolgreiche Ermittlungstaktiken das Geheimnis der „Fetten Dorn“ herausgefunden habe. Heute bin ich daran erinnert worden. Hätte nicht gedacht, daß die Geschichte jemand interessiert. Also das war so:

Zu dem ersten Weimar-Tatort gab es ein Preview im Theater eine Woche vor der Ausstrahlung im ARD. Da Komparsen keinen Anspruch auf Eintrittskarten haben und es mir auch nicht gelungen ist im Vorverkauf und auch nicht über Preisrätsel im Radio und der Lokalzeitung eine Karte zu bekommen, musste ich meine Beziehungen im Weimarer Untergrund zu den anderen „Verdeckten-Ermittler-als-Tourist-verkleidet“ ausspielen. Von Hendrik Zürch habe ich eine Karte bekommen. Vielen Dank an dieser Stelle!

Roter Teppich in Weimar ist schon aufregend, obwohl ich es von Berlin gewohnt bin. Dort bin ich schon oft über den roten Teppich gestolpert, weil zum Beispiel grad mal am Ku’damm ein Film von Veronika Ferres uraufgeführt wird. Den größten Kreischalarm löste in Weimar Palina Rojinski aus, die ich bis dahin garnicht kannte.

Mit 800 Zuschauern im Theater einen Tatort schauen und gemeinsam bei den Gags lachen, das ist schon was Besonderes. Das Ende war ja auch sehr überraschend und sollte unbedingt bis zur Ausstrahlung nicht verraten werden. Das war eine besondere Herausforderung für das Tratsch- und Klatschvolk in Weimar.

Mein 10-Sekundenauftritt ist das Ergebnis eines Drehtages. Die Frau mit Rücksack ist einmal über den Theaterplatz gelaufen und war bestimmt 12 Sekunden im Bild. Hat aber auch keinen Mindestlohn bekommen.

Auf das anschließende Gespräch mit Darstellern und Mitwirkenden, habe ich mich auch sehr gefreut. Ich hätte gerne meinen Mut zusammen gefasst und an Kira Dorn die Frage gestellt, warum ihr Name so gewählt wurde und wie es sich damit lebt in der Rolle. Aber die sonst übliche Frage: „Hat noch jemand Fragen?“ blieb aus.

Bei der anschließenden Party in den Foyers, war Thema Nummer eins das Privatleben von Nora Tschirner. Niemand wusste, wer denn nun der Vater von ihrem Kind ist und ob sie ein Mädchen oder einen Jungen bekommen hat.

Ich hatte eine Mütze mit meinem Label „Dornies“ dabei, die ich gerne Kira Dorn für ihr Dörnchen geschenkt hätte. Aber die Stars haben sich bereits zurück gezogen. Auf dem Balkon beim Rauchen hat sich zufällig herausgestellt, daß der Kommissariatsleiter Stich zur gleichen Zeit wie ich in Ruhla gelebt hat und wir ein paar gemeinsame Bekannte haben. Dadurch kam ich mit dem Drehbuchautor ins Gespräch und konnte ihn fragen, ob er weiß, wo die beiden Kommissare jetzt sind. Er meint, die müssten eigentlich auch noch im Theater unterwegs sein. Die Frage ob sich Nora Tschirner einfach so ansprechen läßt und Geschenke annimmt, hat er bejaht und mir den Tipp gegeben, einfach beherzt auf sie zuzugehen. Also bin ich nochmal ein wenig durch die Foyers gelustwandelt, aber von den Schauspielern hat sich niemand mehr unter das Volk gemischt.

Bei der nächsten Zigarettenpause auf dem Balkon hinter dem Rücken von Goethe und Schiller traf ich wieder den Drehbuchautor. Er hat mir angeboten, das Geschenk Nora am nächsten Tag beim Frühstück im Hotel zu übergeben. Ich zeigte ihm die rote Kindermütze. Er fand sie sehr cool. Als Alternative zeigte ich ihm noch eine blaue Mütze. Er meinte aber, daß die Farbe Rot genau richtig ist und die blaue Dornie bekam er für seinen kleinen Sohn.

So konnte ich an der Bar der Frau vom Polizeichef in Weimar eine Neuigkeit verraten. Obwohl sie beim mdr arbeitet, hat sie die auch noch nicht gekannt. Sie mußte dann auch gleich ihrem Mann erzählen, wie Frau Dorn (also ich) herausgefunden hat, daß Kira Dorn (also Nora Tschirner) ein Mädchen auf die Welt gebracht hat. Er und seine Soko hatten das offensichtlich auch noch nicht herausgefunden. Ralf Kirsten der Polizeichef von Weimar bekundete Anerkennung für meine erfolgreiche verdeckte Ermittlungsarbeit. Tja, die wichtigen Themen werden immer im Raucherbereich besprochen.

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Nora Tschirner, Tatort Weimar

Tag 22 zu Hause – Tatort Weimar vor 7 Jahren

Erinnerung aus dem Netz – Heute vor 7 Jahren bin ich also vor Sonnenaufgang aus dem Haus an den überfrorenen Autos vorbei zum Drehort vom ersten Weimar-Tatort.

Das Foto mit Hendrik Zuerch ist aus der Drehpause. Wir sind verdeckte Ermittler als Tourist verkleidet und stärken uns vor dem Zugriff am Bratwurststand mitten in der ansonsten bratwurstfreien Zone vor dem Theater.

Einer von uns beobachtet über den Zeitungsrand den unter Mordverdacht stehenden Sohn der Frau Hoppe. Rechts im Bild im unauffällig beigen Mantel.

Ich habe als verdeckte Ermittlerin Dorn hinter meinem Stadtführer alles im Blick.

Eine brenzlige Situation: Kommissar Lessing begibt sich zum Bratwurststand

Der Umschlag mit den 38.200 Euro ist im Papierkorb. Das knutschende Pärchen in Position. Ich erwarte die Erpresserin, nur äusserlich entspannt, bereit für den Zugriff. Die Bevölkerung läuft ahnungslos durch das Szenario.

Die Studenten der Mediengestaltung an der Bauhaus-Uni erholen sich von der Actionszene bei alkoholfreiem Bier. Sie haben als Säufer von Daniels Junggesellenabschied den Kutschverkehr auf dem Theaterplatz gestört. Eine starke Besetzung und grossartige schauspielerische Leistung!

Das sind keine verdeckten Ermittler. Das wäre etwas überzogen unauffällig.

Da ist das Miststück. Ich könnte zugreifen, darf ich aber nicht als Komparsin.

Kommissarin Dorn wartet auf Lessing, er hat den Fahrstuhl nicht gefunden, den es ja auch garnicht gibt. Sie ist echt sauer, dass das Geld weg ist. Mit Babybauch konnte sie ja wirklich nicht hinterher rennen.

…nun aber nix wie hinterher, ohne Blaulicht.

Die Säufer, das knutschende Pärchen und die sechs Touristen am Ende des Drehtag.

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Nora Tschirner, Tatort Weimar

Tag 14 zu Hause – Nora Tschirner

Heidi Klum steht unter Schock. Das große Hallenfinale von GNTM ist abgesagt. Verstehe, ich stand auch kurz unter Schock, als mir Chefchen letzte Woche die Kündigung überreicht hat. Die Fans wissen, dass sie mit Ihrer Tochter in der Wohnung tanzt und davon Videos veröffentlicht und auch viele die es nicht wissen wollen. Wenn ich einfach mal meine e-mails lesen will, erfahre ich am Rande was sie und Oliver Pocher machen.

Aber was macht Nora Tschirner? Steht sie auch unter Schock, weil Dreharbeiten abgesagt wurden? War ein Preview vom nächsten Weimar-Tatort im Deutschen Nationaltheater geplant und wurde abgesagt? Das wäre verständlicherweise sehr traurig. Vielleicht springt sie trotzdem mit ihrer Tochter auf dem Sofa rum in ihrer Berliner Wohnung am Prenzlauer Berg. Leider habe ich dazu kein Video im Netz gefunden. Nur ein Video von ihrem Einweihungsbesuch bei Stefan Raab im Studio mit dem fahrenden Schreibtisch. Wann war das? Nora Tschirner sieht aus wie heute. Aber Stefan Raab ist so schlank. Das muss ein sehr altes Video sein. Ach, die Show gibt es seit 2015 nicht mehr. Ist mir garnicht aufgefallen. Ich hab sie so lange nicht vermisst.

Aber vielleicht ist sie ja auch in Weimar geblieben, nach dem letzten Tatortdreh. In Weimar können Promis noch frei herum laufen. Zumindest Thomas Thieme kann unbelästigt im tegut bei mir um die Ecke einkaufen und einen kleinen Smalltalk an der Kasse machen, grüßt auch zurück, wenn ich grüße. Obwohl er mich nicht kennt. Aber ich kenne ihn. Was soll ich machen? Ich will ihn nicht belästigen, aber wenn er nicht mit Sonnenbrille und Mütze rumläuft und sich nicht unkenntlich macht und mich anschaut, dann grüße ich, wie alle Leute, die ich kenne. Vielleicht bin ich auch schon oft an ihm vorbei gelaufen ohne ihn zu erkennen und zu grüßen. Aber ich habe noch nie große kräftige Männer mit Sonnenbrille und Mütze in Weimar gesehen.

In Berlin lief ich auch manchmal im Frühling bei Sonne und kalten Wind mit Mütze und Sonnenbrille mit -2,5 Dioptrien rum. Auf meinem Heimweg vom Grossraumbüro nähe Savignyplatz in meine kleine Wohnung am Ostkreuz bin ich auch mal kurz ins KaDeWe. Die Sonnenbrille hab ich nicht abgesetzt, damit ich was sehe. Ich habe mich gewundert, wie viele Leute mich angesehen und heimlich fotografiert haben. Dachten sie ich wäre Angelina Jolie? Oder Maren Kroymann?

Nora Tschirner kann jetzt vielleicht auch in Berlin gut durch die Strasse laufen und alle, die sie mit Lena verwechseln müssen 2 m Abstand halten.

Als ich mich als Komparse für den Tatort gemeldet habe, wäre ich auch gerne auf die hochschwangere Kira Dorn zugegangen und hätte mich gern vorgestellt: „Hallo ich bin Christine Dorn aus der Lessingstrasse, könnte Ihre Mutter sein, bin ich aber nicht. Als Schwiegertochter würde ich sie mir auch wünschen, aber das ist ja leider zu spät. Wer ist denn der Glückliche?“ Das hätte sie mir natürlich nicht verraten, zu Recht. Nicht einmal die Bildzeitung konnte berichten, wer der Vater ist und hat nur vermutet, daß sie ein Kind erwartet. Also wir in Weimar, wussten das alle. Nora Tschirner ist doch mit ihrem Dackel und Babybauch durch die Stadt gelaufen. Jeder hat gesehen, daß sie nicht nur ein bisschen schwanger ist und niemand hat ein Paparazzifoto geschossen und an die Bildzeitung verkauft.

Wie ich ein Jahr später durch erfolgreiche Verhörtaktiken beim grossen Preview von „Die fette Hoppe“ im DNT herausgefunden habe, ob das Geheimnis der „Fetten Dorn“ nun ein Mädchen oder ein Junge ist, das wird eine andere Geschichte.

Und wie Nora Tschirner das Selfie mit mir gemacht hat, wird noch eine Geschichte.

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Tatort Weimar

Tag 12 zu Hause – Tatort

Wie jeden Sonntag schalte ich um 20:15 Uhr auf ARD, der Tatort soll beginnen. Es wird noch über die Coronakrise berichtet. Die Bilder aus Indien sind schrecklich. Die Tochter meiner Nachbarin wartet dort auf einen Rückflug. Dramatische Berichte und Bilder aus Italien. Ich bekomme Schweissausbrüche. Was ist das? Fieber? Panikattacke? Ich gehe nochmal in den Garten. Die Titelmusik läuft. Der Tatort fängt schon an, ich gehe wieder rein.

Ein unbekannter Mann hat bereits Charlotte Lindholm überwältigt, sein Messer sitzt an ihrem Hals und er redet wirr von „Stimmen in seinem Kopf“ und dass jemand ihn jage. Die Situation eskaliert, Anaïs Schmitz muss sich im Bruchteil einer Sekunde entscheiden: Den Mann töten oder Charlottes Leben riskieren. Sie entscheidet sich. Ein Schuss fällt der unbekannte Mann bricht zusammen, Charlotte blutet am Hals….

…ich breche ab und werde den Fernseher für ein paar Stunden abschalten.

In normalen Zeiten hätte ich das nicht gemacht. Ich schaue jeden neuen Tatort in Echtzeit Sonntagabend 20:15 Uhr. In den letzten 10 Jahren habe ich damit das Wochenende beendet, danach habe ich noch ein paar Sachen gepackt und am nächsten Morgen begann ich eine neue Woche in Berlin.

Ja, ich freue mich auch über jeden Tatort mit den Ermittlern Kira Dorn und Lessing aus Weimar. Für den ersten Tatort in Weimar wurden noch Komparsen gesucht. Ich dachte, das ist doch was für Jonas, er suchte grad Arbeit. Ich habe auch schon die Agentur gefunden, wo ich ihn anmelden könnte. Aber er wollte nicht, man muss da so viel warten und bekommt sehr wenig Geld. Damals gab es noch nicht einmal Mindestlohn. Ich hatte zwar zu der Zeit einen Job in einem Architekturbüro, habe mich aber trotzdem angemeldet. Prompt kam ein Rollenangebot: Verdeckter Ermittler als Tourist verkleidet. Ich sagte zu. Erste Anweisungen: Bitte bringen Sie drei verschiedene Outfits mit, frühlingshafte Kleidung, nicht schwarz, nicht weiß nicht kleingemustert, keine grellen Farben, sowie typische Utensilien, wie Rucksack, Stadtplan, Fotoapparat. Drehort: Theaterplatz, Maske und Kostüm, Treffpunkt: 5 Uhr Hexenhaus in Hummelstrasse

Eigentlich will ich in anderen Städten garnicht als Tourist erkannt werden, habe keinen Stadtrucksack und stelle mich auch nicht mitten auf den Platz und falte einen Stadtplan auf. Aber ein Fotoapparat ist gut. Da kann ich auch während dem Dreh fotografieren. Den musste ich mir allerdings borgen, ich hatte nur mein iPhone. Ich packte meinen schönen blauen Mantel ein, stellte den Wecker auf halb 5, das reicht. Ich muss mir ja nicht die Haare stylen und mich schminken, das macht die Maskenbildnerin. Ich lief zum Treffpunkt. Es war Anfang April und die Scheiben an den Autos vereist. Nun begann das lange Warten und beobachten. Erst kam die Kostümbildnerin. Mein blauer Mantel, kleine Umhängetasche und Fotoapparat wurden akzeptiert. Dann kam die Maskenbildnerin, ich freute mich schon auf ein Hairstyling und Maske. Sie sah mich an und meinte, das könne man so lassen. Aber so kann ich doch nicht ins Fernsehen! Das sieht niemand. Die anderen „Verdeckten Ermittler“ und die „Säufer vom Junggesellenabschied“ blieben auch naturbelassen. Nur bei „Kevin vom knutschenden Pärchen auf der Bank“ wurde die Akne abgedeckt. Ein Regieassistent kam und gab nächste Anweisungen: „Wir gehen jetzt zum Set am Theaterplatz. Ziehen sie sich noch was Warmes über Ihr Kostüm und nehmen sich noch Ihr Essen und Trinken mit und was Sie sonst so brauchen, es könnte Wartezeiten geben.“ Ich zog meinen allerdicksten Wintermantel über und nahm die große Umhängetasche mit Strickzeug, Getränk und Essen mit. Die erste Szene wurde mit Christian Ulmen gedreht. Kamera war oben im Theatergebäude. Dort saß auch die Regie und gab Anweisungen über Funk an ihren Assistenten. Wir Komparsen versteckten uns hinter dem Sockel von Goethe und Schiller, sollten nicht im Bild sein. Klappe die erste: Christian Ulmen kam aus dem Theater lief lässig wie ein Cowboy über den Platz, eigentlich bratwurstfreie Zone, zum Bratwurststand und bestellte sich eine Wurst der Marke „Fette Hoppe“. Das wurde sechsmal gedreht. In der zweiten Szene sollten wir Ermittler wie Touristen auf dem Platz hin und her laufen und dabei ab und zu ganz unauffällig in den Kragen sprechen. Ein Komparse wurde mit einer Zeitung in auf die Terrasse vom „Venezia“ gesetzt. Ich legte mein Gepäck ab und wollte meinen dicken Steppmantel ausziehen. Einspruch vom Assistenten, ich müsse jetzt auch so bleiben. Ich entgegnete, dass ich doch noch garnicht im Bild war und mit der Kostümbildnerin der blaue Mantel abgestimmt ist. Rückfrage an die Regie. Anweisung von der Regie: Ich muss so bleiben. Also bin ich mit zwei Mänteln und zwei Taschen fotografierend hin und her gelaufen. Dominique Horwitz kam mit der Kutsche vorgefahren. Die „Trinker vom Junggesellenabschied“ feierten. Sie bekamen alkoholfreies Bier. In den nächsten Szenen kam eine Schauspielerin mit dem Fahrrad und versteckte Geld im Papierkorb. Zwischendurch kam die Regisseurin auch mal raus. Mit dem knutschenden Pärchen wurde auf der Bank eine Knutschszene gedreht. Das wurde ungefähr 10 Mal gedreht. Die Regisseurin verlangte mehr Aktion. Das Paar war auch im richtigen Leben ein Paar, sie mussten bei einem Casting vorknutschen und wurden aus vielen Bewerbern ausgewählt. Nora Tschirner war im Theater und schaukelte auf einem Schaukelpferd, ihre neuesten lustigen Bilder auf Facebook sahen wir uns in unserer Drehpause an. Dann kam die hochschwangere Kommissarin Dorn und setzte sich in die Kutsche. Kommissar Lessing kam mehrmals aus dem Theater gerannt. Als die Szene endlich im Kasten war, fuhr die Kutsche mit beiden ab.

Nach 5 Stunden war der Dreh vorbei. Die anderen Komparsen waren total durchgefroren in ihrer frühlingshaften Kleidung. Insbesondere Marcus der Jongleur, der immer an der gleichen Stelle stehen musste und bei jeder Klappe sein Bälle jonglierte. Ich traf mich mit Michael und setzte mich noch auf einen Kaffee an den Frauenplan. In der Seifengasse wurde eine Verfolgungsjagd gedreht. Die Kommissare verfolgten in der Kutsche ohne Blaulicht zwei BMX-Fahrer.

Das wird bestimmt ein komischer Tatort! Das wurde „Die fette Hoppe“ auch. Ich war 10 Sekunden im Bild. Marcus wurde zwar erwähnt, aber zu sehen war er nicht.

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