Tatort Weimar

Tag 12 zu Hause – Tatort

Wie jeden Sonntag schalte ich um 20:15 Uhr auf ARD, der Tatort soll beginnen. Es wird noch über die Coronakrise berichtet. Die Bilder aus Indien sind schrecklich. Die Tochter meiner Nachbarin wartet dort auf einen Rückflug. Dramatische Berichte und Bilder aus Italien. Ich bekomme Schweissausbrüche. Was ist das? Fieber? Panikattacke? Ich gehe nochmal in den Garten. Die Titelmusik läuft. Der Tatort fängt schon an, ich gehe wieder rein.

Ein unbekannter Mann hat bereits Charlotte Lindholm überwältigt, sein Messer sitzt an ihrem Hals und er redet wirr von „Stimmen in seinem Kopf“ und dass jemand ihn jage. Die Situation eskaliert, Anaïs Schmitz muss sich im Bruchteil einer Sekunde entscheiden: Den Mann töten oder Charlottes Leben riskieren. Sie entscheidet sich. Ein Schuss fällt der unbekannte Mann bricht zusammen, Charlotte blutet am Hals….

…ich breche ab und werde den Fernseher für ein paar Stunden abschalten.

In normalen Zeiten hätte ich das nicht gemacht. Ich schaue jeden neuen Tatort in Echtzeit Sonntagabend 20:15 Uhr. In den letzten 10 Jahren habe ich damit das Wochenende beendet, danach habe ich noch ein paar Sachen gepackt und am nächsten Morgen begann ich eine neue Woche in Berlin.

Ja, ich freue mich auch über jeden Tatort mit den Ermittlern Kira Dorn und Lessing aus Weimar. Für den ersten Tatort in Weimar wurden noch Komparsen gesucht. Ich dachte, das ist doch was für Jonas, er suchte grad Arbeit. Ich habe auch schon die Agentur gefunden, wo ich ihn anmelden könnte. Aber er wollte nicht, man muss da so viel warten und bekommt sehr wenig Geld. Damals gab es noch nicht einmal Mindestlohn. Ich hatte zwar zu der Zeit einen Job in einem Architekturbüro, habe mich aber trotzdem angemeldet. Prompt kam ein Rollenangebot: Verdeckter Ermittler als Tourist verkleidet. Ich sagte zu. Erste Anweisungen: Bitte bringen Sie drei verschiedene Outfits mit, frühlingshafte Kleidung, nicht schwarz, nicht weiß nicht kleingemustert, keine grellen Farben, sowie typische Utensilien, wie Rucksack, Stadtplan, Fotoapparat. Drehort: Theaterplatz, Maske und Kostüm, Treffpunkt: 5 Uhr Hexenhaus in Hummelstrasse

Eigentlich will ich in anderen Städten garnicht als Tourist erkannt werden, habe keinen Stadtrucksack und stelle mich auch nicht mitten auf den Platz und falte einen Stadtplan auf. Aber ein Fotoapparat ist gut. Da kann ich auch während dem Dreh fotografieren. Den musste ich mir allerdings borgen, ich hatte nur mein iPhone. Ich packte meinen schönen blauen Mantel ein, stellte den Wecker auf halb 5, das reicht. Ich muss mir ja nicht die Haare stylen und mich schminken, das macht die Maskenbildnerin. Ich lief zum Treffpunkt. Es war Anfang April und die Scheiben an den Autos vereist. Nun begann das lange Warten und beobachten. Erst kam die Kostümbildnerin. Mein blauer Mantel, kleine Umhängetasche und Fotoapparat wurden akzeptiert. Dann kam die Maskenbildnerin, ich freute mich schon auf ein Hairstyling und Maske. Sie sah mich an und meinte, das könne man so lassen. Aber so kann ich doch nicht ins Fernsehen! Das sieht niemand. Die anderen „Verdeckten Ermittler“ und die „Säufer vom Junggesellenabschied“ blieben auch naturbelassen. Nur bei „Kevin vom knutschenden Pärchen auf der Bank“ wurde die Akne abgedeckt. Ein Regieassistent kam und gab nächste Anweisungen: „Wir gehen jetzt zum Set am Theaterplatz. Ziehen sie sich noch was Warmes über Ihr Kostüm und nehmen sich noch Ihr Essen und Trinken mit und was Sie sonst so brauchen, es könnte Wartezeiten geben.“ Ich zog meinen allerdicksten Wintermantel über und nahm die große Umhängetasche mit Strickzeug, Getränk und Essen mit. Die erste Szene wurde mit Christian Ulmen gedreht. Kamera war oben im Theatergebäude. Dort saß auch die Regie und gab Anweisungen über Funk an ihren Assistenten. Wir Komparsen versteckten uns hinter dem Sockel von Goethe und Schiller, sollten nicht im Bild sein. Klappe die erste: Christian Ulmen kam aus dem Theater lief lässig wie ein Cowboy über den Platz, eigentlich bratwurstfreie Zone, zum Bratwurststand und bestellte sich eine Wurst der Marke „Fette Hoppe“. Das wurde sechsmal gedreht. In der zweiten Szene sollten wir Ermittler wie Touristen auf dem Platz hin und her laufen und dabei ab und zu ganz unauffällig in den Kragen sprechen. Ein Komparse wurde mit einer Zeitung in auf die Terrasse vom „Venezia“ gesetzt. Ich legte mein Gepäck ab und wollte meinen dicken Steppmantel ausziehen. Einspruch vom Assistenten, ich müsse jetzt auch so bleiben. Ich entgegnete, dass ich doch noch garnicht im Bild war und mit der Kostümbildnerin der blaue Mantel abgestimmt ist. Rückfrage an die Regie. Anweisung von der Regie: Ich muss so bleiben. Also bin ich mit zwei Mänteln und zwei Taschen fotografierend hin und her gelaufen. Dominique Horwitz kam mit der Kutsche vorgefahren. Die „Trinker vom Junggesellenabschied“ feierten. Sie bekamen alkoholfreies Bier. In den nächsten Szenen kam eine Schauspielerin mit dem Fahrrad und versteckte Geld im Papierkorb. Zwischendurch kam die Regisseurin auch mal raus. Mit dem knutschenden Pärchen wurde auf der Bank eine Knutschszene gedreht. Das wurde ungefähr 10 Mal gedreht. Die Regisseurin verlangte mehr Aktion. Das Paar war auch im richtigen Leben ein Paar, sie mussten bei einem Casting vorknutschen und wurden aus vielen Bewerbern ausgewählt. Nora Tschirner war im Theater und schaukelte auf einem Schaukelpferd, ihre neuesten lustigen Bilder auf Facebook sahen wir uns in unserer Drehpause an. Dann kam die hochschwangere Kommissarin Dorn und setzte sich in die Kutsche. Kommissar Lessing kam mehrmals aus dem Theater gerannt. Als die Szene endlich im Kasten war, fuhr die Kutsche mit beiden ab.

Nach 5 Stunden war der Dreh vorbei. Die anderen Komparsen waren total durchgefroren in ihrer frühlingshaften Kleidung. Insbesondere Marcus der Jongleur, der immer an der gleichen Stelle stehen musste und bei jeder Klappe sein Bälle jonglierte. Ich traf mich mit Michael und setzte mich noch auf einen Kaffee an den Frauenplan. In der Seifengasse wurde eine Verfolgungsjagd gedreht. Die Kommissare verfolgten in der Kutsche ohne Blaulicht zwei BMX-Fahrer.

Das wird bestimmt ein komischer Tatort! Das wurde „Die fette Hoppe“ auch. Ich war 10 Sekunden im Bild. Marcus wurde zwar erwähnt, aber zu sehen war er nicht.

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