…ist ein ehemals kleines Kuhdorf mit 900 Einwohnern in einem Tal. Eine Strasse führte am Berg vorbei. Ende der 60er Jahre wurde die Umgestaltung zu einem „sozialistischen Dorf“ begonnen. Eine neue Strasse wurde durchgeführt, eine große Fabrik vor den Wartberg gesetzt und Wohnblöcke für die Beschäftigten und ihre Familien zwischen die kleinen Häuser gesetzt. Einwohnerzahl stieg auf ca. 3.500 plötzlich.
(Den Artikel aus der „Architektur der DDR“ muss ich mal finden)
Meine Eltern sind mit mir und meiner Schwester aus Gotha in eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit 52 qm gezogen. Küche mit Durchreiche und innenliegenden Bad und Balkon.

Der Balkon war im Süden. Ungefähr 20 Familien hätten mir beim Sonnen zuschauen können, wenn ich mich dort in die Sonne gelegt hätte, wenn sie geschienen hätte und bis sie hinter dem Querblock verschwand.

Das Foto habe ich 1971 aus meinem Kinderzimmerfenster gemacht. In dem Hof unter mir lagerte das Material von Nebengebäuden, auf dessen Grundfläche jetzt unser 80 m lange Fünfgeschosser stand. Ich konnte gemütlich von meiner Fensterbank beobachten, wie der Mann aus dem Haus seine Karnickel fütterte und in seinem Garten arbeitete.
Auf dem Berg gegenüber bin ich im Winter mit Schlitten oder Skiern gefahren. In einem Sommer saß dort öfters eine Malerin und hat einen Gesamtblick auf das Dorf mit den Neubaublöcken gemalt. Das Bild hing dann in der Bibliothek. Wo ist es jetzt?
Die Malerin Veronika Wagner (VW) ist mit ihren vielen Bildern nach über 50 Jahren von Berlin in das Haus ihrer Familie zurück und hat es zu ihrem neuen zu Hause gemacht. Von ihrer Miniveranda hat sie auch einen schönen unverstellten Blick mit der Scheune, die auch auf meinem Foto zu sehen ist.
Meine Schulfreundin ist auch eine der wenigen Ureinwohner von Seebach. Ihr Garten lag früher am Dorfrand und nun führt eine Bundesstrasse direkt am Gartentor vorbei. Der Blick auf den Wartberg ist durch das Fabrikgebäude mit einem leuchtend grünen Schriftzug „DECKEL-MAHO“ verstellt.
Im Garten meiner Schulfreundin war es trotzdem sehr gemütlich und lustig. Um 23 Uhr leuchtete die Schrift nicht mehr und es fuhren keine Autos. Ihr Sohn aus Erfurt war mit seinen 3 Kindern da. Er fühlt sich in Seebach zu Hause und arbeitet in Erfurt. Am nächsten Tag musste er arbeiten. Ach, fährt er dann nach Erfurt? Nein, er macht Homeoffice, in Seebach, da wo er geboren wurde und groß geworden ist und das Haus seiner Vorfahren ist. Von seinen Schulfreunden aus den Blöcken ist kaum einer noch da und kommt auch nicht mit den Kindern in den Ferien.
Der Weg von dem meine Freundin als Kind in den Wald konnte, ist auch schon lange durch die Maschinenfabrik versperrt. Das stellten wir auch fest, als wir vom Klubhaus mal kurz eine Runde laufen wollten. Der Weg über die Blumenwiese hinter dem Werk am Waldrand wurde uns mit der Zeit in der Sonne doch zu lang, wir fanden keinen Durchgang ins Dorf. In einem kleinen Waldstück suhlten sich Wildschweine. Irgendwann kamen wir auf die Zufahrt zum Werkseingang zu dem angeblich 600 Beschäftigte von außerhalb anfahren und wieder weg fahren. Zu dem Zeitpunkt war es sehr ruhig, wegen Kurzarbeit und Betriebsferien. Wir hofften, daß dies für uns keine Sackgasse ist und es eine Verbindung zum Dorf gibt. Wir fanden dann auch noch einen offensichtlich wenig begangenen Pfad.
Als wir die fehlende Wegebeziehung vom Dorf in den Wald in einer Unterhaltung bemerkten, fragte der Besuch aus der Großstadt, wozu denn jemand aus dem Dorf in den Wald sollte, ist doch nicht nötig. Das hat natürlich auch den Vorteil, dass die Wildschweine nicht ins Dorf kommen.
Wie geht es weiter mit Seebach? Es gibt Studenten von der Uni in Weimar, die Studien machen. Von einem Mehrgenerationshaus ist die Rede. Ein Planungsbüro in Weimar ist mit Konzeptentwicklungen beauftragt. Was ist mit der alten Uhrenfabrik? Mirko erzählte von Ideen zu einem Kunstraum. Na das wäre doch vielleicht auch was für VW (Veronika Wagner). Es gibt keine Gaststätte, keinen Treffpunkt. Der ehemalige Zentrale Platz zwischen Schule, Turnhalle und „Kinderkombination“ mit untermauertem Dienstleistungszentrum und der alten Dorfkirche mit Blickachse zum Werktor, einer Skulptur und einer Blumenuhr ist jetzt ein Parkplatz.
Die Sparkasse zu der ich mein erspartes Taschengeld trug, war davor ein Bäcker und wurde inzwischen denkmalgerecht saniert und ist jetzt eine „Heimatstuben“. Dort werden alte Alltagsgegenstände und die Geschichte von Seebach gezeigt. Die alte Singernähmaschine von meiner Oma aus Gablonz steht da auch.

Gegenüber haben „Zugezogene“ ein altes Fachwerkhaus umgesetzt und einen Bauerngarten angelegt. An der alten Dorfstrasse vor den alten Häusern sind „Gärten des Grauens“ mit Schotter zu sehen. An einigen Hängen am Dorfrand pflegen die Leute aus den Blöcken ihre Kleingärten. Für bauwillige junge Familien gibt es keine Grundstücke.
Im ehemaligen Fleischerladen steht jetzt ein Dönerspieß. Vielleicht kommt ja noch ein Zugezogener oder Rückkehrer und eröffnet eine Gaststätte. So wie in Ummerstadt.
Bei mir steht die Nähmaschine meiner Grossmutter, die auch aus Gablonz kam. Die Oma, nicht die Nähmaschine. Aber vielleicht ist die Nähmaschine es doch. Ich nehme es an. Auf jeden Fall konnte die Oma die ihre nicht mitnehmen. Dafür steht das Haus noch, das verlassen werden musste. Davor stehen gehabt zu können, ist ein wahrer Schatz für mich.
Herzliche Dir, Ev
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Ich weiß auch nicht, ob die Nähmaschine wirklich aus Gablonz ist. Wenn ja, hätten sie diese später geholt. Auf dem Transport im Güterwagon konnten sie nur einen Koffer mitnehmen. Aber bei den gebliebenen Geschwistern konnten sie einige Dinge, wie Fotoalben und Geschirr, lagern und nachholen.
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Oh, das freut mich sehr, dass in Eurer Familie doch noch einiges erhalten geblieben ist!
Bei der meiner Mutter blieben nach Vertreibung, Internierung, 2 Mal Flucht nur noch ganz wenige und sehr kleine Sachen übrig.
Ich weiss nicht, ob Du jemals dorthin kommst, aber in Neugablonz gibt es das Isergebirgsmuseum mit etlichen Exponaten, ganz viel Infos und sehr viel Fotografien. Ich hatte das Glück, auf einer meinen Opa in Gablonz zu entdecken.
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